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Hüftgelenks-OP: Jeder Tag zählt

XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2021

 

Hüftgelenksfrakturen betreffen oft über 70-Jährige, die zügig versorgt werden sollten. Doch vorher muss geklärt werden, ob sie Gerinnungshemmer eingenommen haben. Das schreibt eine neue Richtline vor – wie bedeutend das ist, erklärt Dr. Michael Caspers 

Text: Verena Fischer

Lässt sich bei Patienten mit einer Fraktur des Hüftgelenks nicht feststellen, wann die letzte Einnahme eines gerinnungshemmenden Medikaments – eines direkten oralen Antikoagulans (DOAK) – erfolgt ist, sollen Testverfahren zum Einsatz kommen. Das sieht ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vor. Was es dabei zu beachten gilt, erklärt Dr. Michael Caspers, Oberarzt der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie in den Kliniken der Stadt Köln sowie Leiter einer Studie zu DOAK-Grenzwerten.

Herr Dr. Caspers, was ist typisch für hüftgelenksnahe Frakturen? 

Von den deutschlandweit knapp 120.000 Betroffenen pro Jahr sind etwa 80 Prozent 70 Jahre und älter. Hüftgelenksnahe Frakturen spielen also im Bereich der Alterstraumatologie eine sehr große Rolle. Nicht nur weil es sich um einen sehr häufigen Bruch  handelt, sondern auch weil es eine schwere Verletzung ist, die  das Leben von Betroffenen massiv verändert, sie in ihrer Mobilität  einschränkt und die Gesundheit langfristig belastet. 

Wie läuft die Behandlung ab? 

Die meisten Patienten werden mit dem Rettungsdienst zu uns gebracht und in der Notaufnahme erstversorgt. Es finden eine Frakturdiagnostik, eine radiologische Diagnosestellung und die Beratung über das weitere Prozedere statt. Im Rahmen der präoperativen Vorbereitungen werden Begleiterkrankungen und OP-Fähigkeit überprüft und Laborparameter bestimmt. 

Welche Laborparameter spielen eine Rolle? 

Das kleine Blutbild, weitere Blutzellparameter und der Gerinnungsstatus werden erhoben. Befunde aus der Klinischen Chemie mit Organparametern wie der Nierenfunktion und Entzündungswerte sind außerdem wichtig. Denn bei antikoagulierten Patienten mit direkten oralen Antikoagulanzien entscheidet die Nierenfunktion darüber, wie schnell Substrate ausgeschieden werden. Außerdem gilt es, Einschränkungen von Organfunktionen zu bestimmen und zu schauen, ob etwa eine begleitende infektiöse Erkrankung wie eine Lungenentzündung oder ein Harnwegsinfekt vorliegen, denn sie können die Operationsfähigkeit und das perioperative Management beeinflussen. 

Wie ist die Prognose der Patienten? 

Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es gibt viele Studien, die belegen, dass geriatrische Patienten mit hüftgelenksnahen Frakturen von einer zügigen Frakturversorgung profitieren.  Es ist nachgewiesen, dass sich die Prognose hinsichtlich Morbidität und Mortalität verschlechtert, je mehr Zeit bis zur OP vergeht. Es kommen dann viel häufiger Lungenentzündungen oder Dekubiti vor, insgesamt ist die Behandlung komplikationsbehafteter.  So wurde festgelegt, dass Patienten mit hüftgelenksnahen Frakturen spätestens innerhalb von 24 Stunden nach Krankenhausaufnahme operiert werden sollen.

Ist das denn immer möglich?

Nicht immer. Im Patientenklientel der über 70-Jährigen gibt es viele Personen, die mit unterschiedlichen Substanzen antikoaguliert sind, und eine gerinnungshemmende Medikation ist ein häufiges Hindernis, wenn es darum geht, Patienten innerhalb von 24 Stunden zu operieren. Bevor es die neuen oralen Antikoagulanzien gab, war das Hauptmedikament Marcumar. Dank eines Antidots konnte die gerinnungshemmende Wirkung davon aufgehoben werden, sodass einer operativen Versorgung nichts im Weg stand. Das ist heute nicht mehr so einfach. 

Was hat sich denn verändert? 

Bei DOAKs lässt sich im Notfall die gerinnungshemmende Wirkung nicht einfach aufheben. Es gibt zwar für einige Substanzen Antidots, aber die sind sehr teuer und für die Versorgung von hüftgelenksnahen Frakturen absolut nicht suffizient. Außerdem haben die meisten dieser Medikamente bei normaler Nierenfunktion eine Wirkkinetik von 24 Stunden. Das heißt, man muss nach der letzten Einnahme 24 Stunden warten, um operieren zu können. Ist die Nierenfunktion eingeschränkt, dauert es sogar deutlich länger – teilweise 48 bis 72 Stunden. 

Wie gehen Sie im Alltag mit diesem Problem um? 

Unser Vorgehen war bislang so, dass Patienten mit DOAKs nierenfunktionsabhängig auf ihre OP gewartet haben. Das heißt, DOAK-Patienten mit normaler Nierenfunktion sind genau an der Grenze, 24 Stunden nach Krankenhausaufnahme, von uns operiert worden. Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion haben wir später operiert. Uns war das Blutungsrisiko einfach zu hoch. 

Gab es auch Ausnahmen?

Ja. Uns ist aufgefallen, dass es einen großen Anteil an Patienten gibt, zum Beispiel aus Seniorenheimen, bei denen nicht klar war, ob sie antikoaguliert sind. Es stand zwar in den Medikamentenplänen, aber die Patienten wussten nicht, ob sie die Arzneien auch eingenommen haben. Bei diesen Patienten haben wir angefangen, Messungen und initial eine Plasmabestimmung zu machen. Als die Point-of-Care-Testung mit dem Doasense-Teststreifen von Hitado auf den Markt kam, haben wir damit qualitativ untersucht, ob eine Antikoagulation vorliegt. 

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat nun entschieden, dass ein DOAK-Nachweis immer erfolgen muss. Warum? 

Der G-BA hat entschieden, dass bei Patienten mit DOAK-Medikation eine Gerinnungsdiagnostik innerhalb von 24 Stunden erfolgen muss, um das Blutungsrisiko besser quantifizieren zu können. So sollen möglichst vielen Patienten die Vorteile einer zügigen Operation zugutekommen. 

Welche Nachweismöglichkeiten gibt es? 

Beim DOAK-Nachweis sind Plasmauntersuchungen für die direkten Xa-Inhibitoren sowie ein substratspezifischer Anti-Xa-Test oder eine Bestimmung der Anti-Xa-Aktivität der Goldstandard.  Für den direkten Thrombininhibitor eignet sich ein direkter Thrombininhibitionstest. 

Das sind aufwendige Laboruntersuchungen. Welche Lösungen gibt es für kleine Kliniken? 

Der POCT-Nachweis bietet ein schnelles Entscheidungskriterium, da er von sehr hohem negativ-diskriminativen Wert ist. Ist der POCT-Nachweis im Urin negativ, lässt sich also mit sehr hoher Sicherheit davon ausgehen, dass keine direkte Antikoagulation vorliegt. Das heißt, im negativen Fall hilft einem dieser Test weiter. Die Patienten, die „falsch-positiv“ waren, weil ihnen DOAKs verschrieben wurden, die sie aber nicht genommen haben, kann man mit diesem POCT-Test sehr schnell erkennen. 

Und im Fall eines positiven Testergebnisses? 

Dann empfehlen wir, den Goldstandard der Gerinnungsanalytik anzuschließen. Der POCT-Test ist sehr sensitiv. Er weist DOAKs selbst dann noch im Urin nach, wenn im Plasma kein Wirkspiegel einer Vollantikoagulation mehr vorliegt. 

Ab welchem Wert darf dann sicher operiert werden? 

Auch wenn aktuell viel über den Grenzwert von 30 Nanogramm pro Milliliter diskutiert wird, fehlt es noch an wissenschaftlicher Evidenz. Unsere Studie ist gerade erst angelaufen.    

Summary

  • Hüftgelenksfrakturen betreffen häufig über 70-Jährige, von denen viele gerinnungshemmende Medikamente nehmen 
  • Obwohl ein möglichst schneller Eingriff geboten ist, muss zwingend zuvor der Gerinnungsstatus der Patienten abgeklärt werden – das sieht auch ein G-BA-Entscheid vor 
  • Dafür empfiehlt sich ein POCT-Test, der schnell, ohne den Aufwand eines großen Labors und mit großer Sicherheit feststellen kann, wenn keine Antikoagulation vorliegt

Fotoquelle: Annette Etges

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