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Die Hüterin der Zielwerte

XTRA-ARTIKEL AUSGABE 2/2023

Maßnahmen zur Qualitätssicherung betreffen alle, die im Labor tätig sind. Aber wer steckt eigentlich hinter den Zielwerten für die interne Qualitätskontrolle?

Ein Blick hinter die Kulissen des Sysmex Assay-Labors samt Vorstellung von Laborleiterin Claudia Dahmen und ihrem Team

Text: Verena Fischer
Fotos: Lisa Notzke

Wenn ein und dieselbe Blutprobe gleichzeitig in einem Labor in Deutschland, Nigeria und der Mongolei gemessen wird, dann soll eines ganz sicher nicht dabei herauskommen – drei unterschiedliche Ergebnisse. Das lässt sich etwa mit dem Messen von Gewicht vergleichen, das ja auch nur dann für Orientierung statt für Verwirrung sorgen kann, wenn es auf jeder Waage der Welt, egal ob in der Küche, im Badezimmer oder im Supermarkt, vergleichbar wiedergegeben wird. Für medizinische Labore gibt es deshalb weltweite strikte Richtlinien für die Qualitätssicherung hämatologischer Analysesysteme, deren Einhaltung ein Faktor dafür ist, dass Labore eine Akkreditierung bekommen und behalten dürfen. Dazu gehört, dass tagtäglich, bevor die Messung von Patientenproben startet, die Performance der Analysegeräte mithilfe von standardisiertem Kontrollblut überwacht wird. Diese Kontrollmessungen werden in regelmäßigen Abständen wiederholt, um sicherzustellen, dass die Systeme immer noch im Bereich der vorgegebenen Zielwerte messen. Zusätzlich müssen Labore mehrmals pro Jahr die Richtigkeit ihrer Laborgeräte im Rahmen externer Ringversuche unter Beweis stellen. Die Qualität des analytischen Prozesses wird also kontinuierlich überwacht und dokumentiert. Diese Maßnahmen kosten zwar Zeit, sind aber äußerst sinnvoll und lohnend, denn letztlich dienen sie dazu, zu garantieren, dass Ärztinnen und Ärzte zutreffende Befunde erhalten, auf deren Basis zielgerichtete Therapien für Patientinnen und Patienten in die Wege geleitet werden können.

Als weltweiter Marktführer von Hämatologieanalysegeräten stellt Sysmex sicher, dass alle eigenen Geräte dieser Art im globalen Vergleich dieselben Ergebnisse liefern. Es gehört zum Service, Kundinnen und Kunden sämtliche Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die einen reibungslosen Ablauf interner und externer Qualitätskontrollen sichern. Um diese Herausforderungen zu meistern, gibt es ein globales Kernteam, das in drei voneinander unabhängigen Assay-Laboren (in Japan, den USA und in Europa) die QS-Prozesse sichert und optimiert. Das europäische Labor befindet sich in Hamburg-Norderstedt und ist für den gesamten EMEA-Bereich (Europa, Mittlerer Osten, Afrika) zuständig. Geleitet wird dieses seit sieben Jahren von Claudia Dahmen. Höchste Zeit also, die „Hüterin der Zielwerte“ und ihr Team vorzustellen.

Willkommen im Sysmex Assay-Labor

Inmitten der EMEA-Niederlassung in Norderstedt befindet sich der Wirkungsbereich von Claudia Dahmen – das knapp 120 Quadratmeter große Assay-Labor, in dem sämtliche hämatologischen Sysmex Analyser bereitstehen. Entschlossen passiert die ehemalige Charité-Forscherin den Raum, während jede ihrer Bewegungen ein Gefühl von Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt. Es ist deutlich spürbar, dass sie und ihr Team hier im wahrsten Sinne des Wortes alles unter Kontrolle haben. Der Raum ist nahezu menschenleer. Einzig Nina Angerstein pipettiert gerade einen Tropfen Kontrollblut in einen großen Messkolben voll Flüssigkeit. Die Laborleiterin geht zielstrebig auf sie zu, legt einen Arm um ihre Schultern und stellt die medizinische Technologin Laboranalytik vor: „Nina ist hier unsere Frau für alles“, scherzt Claudia Dahmen. „Sie führt sämtliche Messungen im Bereich der Qualitätskontrolle durch – ohne sie läuft hier nichts.“

Die quirlige Labormitarbeiterin schmunzelt: „Wenn das so ist, dann zeige ich euch mal das ‚Urkilogramm‘ der Hämatologie“, sagt sie und nimmt vor einem unscheinbaren Metallkasten mit transparentem Sichtfenster Platz, hinter dem ein Glaskolben mit bläulicher Flüssigkeit eingebaut ist. „Das ist unser SCC-3“, präsentiert sie das System und erklärt, dass es sich dabei um eine von vielen weltweit anerkannten Referenzmethoden für die Hämatologie handelt. Das bedeutet, dass der SCC-3 hämatologische Proben mit maximaler Genauigkeit auswertet und die Ergebnisse deshalb als Referenzwerte geeignet sind, mit denen sich die Richtigkeit anderer hämatologischer Laborgeräte überprüfen und sicherstellen lässt. „Eben wie das Pariser Urkilogramm als weltweite Referenznorm für das Messen von Gewicht“, fügt sie hinzu. Der SCC-3 gewährleistet also die sogenannte metrologische Rückführbarkeit (siehe Kasten oben) für RBC- und WBC-Kalibratoren. Mit dieser lässt sich belegen, dass die Sysmex Kalibratoren im Referenzbereich liegen und somit auch humane Proben akkurat gemessen werden. „In den Sysmex Assay-Laboren in Japan und den USA gibt es übrigens genau das gleiche System“, ergänzt Claudia Dahmen und erklärt: „Indem wir die Werte länderübergreifend abgleichen, erreichen wir global eine komplette Übereinstimmung.“

Nina Angerstein öffnet die Tür eines Kühlschranks, in dem sich kleine Röhrchen mit roten, weißen und schwarzen Deckeln befinden. „Das hier ist unser Kontrollblut“, erklärt sie, und Claudia Dahmen berichtet, dass es sich dabei um ein Sysmex Produkt handelt, das im Auftrag des Unternehmens von dem US-amerikanischen Hersteller Streck für Sysmex hergestellt wird. Enthalten sind stabilisierte Zellen hauptsächlich humanen Ursprungs in unterschiedlicher Zusammensetzung. „Das Blut von Streck kommt Originalblut sehr nahe“, betont die Laborleiterin. Sobald eine neue Charge davon auf den Markt kommt, wertet Nina Angerstein diese an sämtlichen Analysern aus. Mit den Ergebnissen werden anschließend von den Kolleginnen Zielwerte für jedes Analysesystem erstellt, an denen sich etwa medizinische Labore orientieren, wenn sie mit Kontrollblut derselben Charge ihre interne Qualitätskontrolle durchführen. Als Nächstes geht es um das Tagesgeschäft im Assay-Labor: „Jeder Morgen beginnt für mich damit, dass ich die Daily-QC-Proben, für die wir Zielwerte rausgegeben haben, an allen Geräten einmal auswerte“, berichtet Nina Angerstein und deutet auf die aufgereihten Analysesysteme. „Das ist wichtig, um die Richtigkeit der erstellten Zielwerte tagtäglich nachzukontrollieren, und zwar über die gesamte Laufzeit einer Kontrollblut-Charge.“ Gleichzeitig werden jeden Nachmittag frische Humanblutproben aus Kliniken und Blutspendezentren auf den Analysesystemen zu Vergleichszwecken gemessen.

Sympathische Kontrollfreaks

Die Erfassung der Zielwerte, deren Langzeitmonitoring sowie ihre grafische Aufbereitung sind ein guter Übergang zu den Aufgaben der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen aus Claudia Dahmens Team. Die Laborleiterin verlässt Ninas Arbeitsbereich und betritt das Büro direkt neben dem Labor. „Hi Malina“, begrüßt sie ihre Kollegin, die am Schreibtisch hinter drei großen Computerbildschirmen sitzt. Malina Meier ist gelernte Biologielaborantin und studierte Ingenieurin – und ein echter Zahlen-Nerd. „Ich liebe einfach Zahlen“, bestätigt sie und deutet auf einen Bildschirm, auf dem eine Zickzackgrafik abgebildet ist. „Das hier sind die Messwerte unseres Daily-QC-Monitorings mit Kontrollblut“, erklärt sie, und fährt fort: „Graue Querbalken markieren die Sysmex Limits für alle Kunden im EMEA-Bereich, und innerhalb der engeren roten Linien liegen die RiliBÄK-Zielwerte für Deutschland.“ Claudia Dahmen ergänzt, dass die RiliBÄK (Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen), die seit 1971 existiert, strengere Richtlinien für Qualitätskontrollen vorgibt als andere Organisationen.

Malina Meier ist seit sechs Jahren im Team. Neben der Digitalisierung der QC-Messwerte leitet sie außerdem ein Projekt zur Verbesserung des QC-Langzeitmonitorings. Sie klickt von einer Grafik zur nächsten und erklärt: „Ich arbeite mit dem Programm Power-BI, in dem die Messdaten der einzelnen Kontrollblut-Chargen übereinandergelegt werden können, wodurch sich eine Langzeitdokumentation über das Kontrollmaterial ergibt.“ Dieser Chargenvergleich sei bedeutend, da Abweichungen sofort erkannt und an den Hersteller Streck zurückgemeldet werden können. Das Gleiche geschehe im Austausch mit Ringversuchsanbietern, da es sein könne, dass Messabweichungen etwa durch fehlerhaften Transport von Kontrollblut bedingt seien, erklärt sie.

Ein Büro weiter arbeitet Irina Jülch, die das Kalibrationsteam leitet. Seit zehn Jahren ist die gelernte MTLA mit Master in Chemie fester Teil des Teams. Zuvor hat sie in einem Krankenhauslabor die Qualitätskontrolle aus Anwendersicht betreut. „Seit Claudia unser Team leitet, hat sich vieles verändert“, betont die Chemikerin. „Als ich 2014 hier anfing, bestand unsere Arbeit noch zu 95 Prozent aus reiner Auswertung und dem Monitoring von Daten, die uns Japan geschickt hat“, berichtet sie. Inzwischen arbeitet das Labor in Norderstedt unabhängig als eines der drei globalen Sysmex Labore. Alle drei Labore arbeiten eng zusammen und sind im stetigen Abgleich. Ein Grund dafür sei, dass es immer mehr global agierende Labore wie die WADA (World Anti Doping Agency) gibt, die ebenfalls Sysmex Geräte zur Erstellung des Athleten-Blutpasses verwenden.

Visionärin der Sicherheit

Als Claudia Dahmen 2016 die Leitung des Assay-Labors übertragen wurde, bemerkte sie als Erstes, dass es im Fall der Thrombozytenmessung Zielwertverletzungen in allen Laboren gab. Sie telefonierte daraufhin mit dem Kontrollbluthersteller Streck und deckte Fehlerquellen auf: Es kam zu einer Veränderung der Bedienungsanleitung des Kontrollbluts und die enthaltene Thrombozytenzahl wurde angepasst – seitdem laufen die Messungen einwandfrei.

Ganz generell liebt es Claudia Dahmen, Sachen voranzubringen und Strukturen zu erneuern. Einmal im Monat trifft sie sich dafür mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Assay-Laboren in Japan und den USA zum weltweiten Datenabgleich, der auch der Eigenkontrolle dient, und es werden Ideen etwa für innovative Softwareprodukte ausgetauscht. Alle zwei Wochen steht ein Jour fixe mit dem Kontrollbluthersteller Streck in ihrem Terminplan und jede Woche gibt es einen Austausch mit dem Sysmex Deutschland Produktmanagement für Qualitätskontrolle, das im direkten Kontakt mit Anwenderinnen und Anwendern steht und rückmeldet, wie die Qualitätskontrolle in Laboren verlaufen ist. Claudia Dahmen ist Mitglied des DIN-Gremienbeirats zur Normung und Standardisierung von Referenzmethoden und des Verbands der Diagnostica-Industrie (VDGH). „Qualitätskontrollen betreffen alle: das Labor, die Patientensicherheit und die Industrie. Gut vernetzt zu sein, ist deshalb für mich sehr wichtig.“

Historienüberblick und Meilensteine im ASSAY-Labor

1950 Levey-Jennings Control Charts werden erstmals zur Darstellung von QC-Ergebnissen genutzt
60er-Jahre erste Ringversuche mit dem Ziel, eine Vergleichbarkeit zwischen den Laboren zu erreichen
1968 Sysmex gibt Cellcheck B als erstes Qualitätskontrollmaterial mit definierten Zellzahlen heraus
1971 erste RiliBÄK
1971 Streck wird gegründet und patentiert ein innovatives Verfahren zur Zellstabilisierung
1973 Publikation des Bull’s Algorithmus, der eine Verlaufskontrolle der Gerätefunktion aufgrund der Patientenmessergebnisse möglich macht
80er Sysmex bringt E-Serie mit XbarM-Kontrolle auf den Markt – diese ermöglicht eine sehr sensitive Verlaufskontrolle auf Basis von Patientenmessungen, ein automatisches Gerätemonitoring und die grafische Darstellung der Ergebnisse
1981 Einführung der Westgard-Rules für die Interpretation von QC-Ergebnissen
2002 Die regelmäßige Qualitätssicherung wird laut Medizinproduktebetreiberverordnung Pflicht
2004 neue Arbeitsgruppe für RiliBÄK bildet sich
2005

Sysmex führt mit SNCS IQAS Online ein digitales Programm für die externe Qualitäts­kontrolle von 5-Part-Diff-Systemen ein. Damit können interne QC-Daten in Echtzeit mit den Daten anderer Anwender abgeglichen werden

Für 3-Part-Diff-Systeme folgt das IQAS-Kontrollprogramm

2014 Sysmex erhält die Akkreditierung nach DIN EN ISO/IEC 17043 als Anbieter von Eignungsprüfungen für das SNCS IQAS Online
2020 Launch von Caresphere XQC als Nachfolger des bisherigen SNCS IQAS Online. Mit Caresphere können alle teilnehmenden Labore die täglichen Ergebnisse ihrer internen Qualitätskontrolle in Echtzeit und im Langzeitmonitoring kostenfrei und automatisiert miteinander abgleichen

 

Summary

  • In Hamburg-Norderstedt befindet sich das Sysmex Assay-Labor, in dem QC-Richtwerte für den gesamten EMEA-Bereich erstellt werden
  • Ein Porträt über die Arbeit von Laborleiterin Claudia Dahmen und ihrem Team
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