Premiere in Lausanne
XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2022
Die Schweizer Privatklinik Clinique de La Source ist die europaweit erste Institution, die die neue Komplettlösung für die klinische Flowzytometrie einsetzt
Welche Rolle spielt die Flowzytometrie für die Hämatologie, und wie kann sie unsere Diagnostik künftig unterstützen?
Text: Verena Fischer
Unweit des Genfer Sees, inmitten der malerischen Hügellandschaft von Lausanne, treffen in der Clinique de La Source Medizinhistorie und hoch technisierte Spitzenmedizin aufeinander. Mehr als ein Jahrhundert ist es her, dass die multidisziplinäre Akutklinik im Jahr 1891 von einer gemeinnützigen Stiftung gegründet wurde. Heute ist sie die größte Privatklinik der französischen Schweiz, und wer ihre Historie nicht kennt, würde diese kaum vermuten. Von außen erinnert das moderne Klinikgebäude eher an ein Hotel. Kaum eingetreten stellt sich ebenfalls das Gefühl ein, an einem ruhigen Rückzugsort angekommen zu sein – keine Spur von steriler Krankenhausatmosphäre. Doch der Schein trügt, denn es handelt sich um eine hochmoderne Klinik, die ihrer Zeit technologisch stets ein wenig voraus ist. Beispielsweise hat die Clinique de La Source als erste europäische Klinik einen innovativen Chirurgieroboter eingesetzt, der mit seinem Arm und interoperativer Bildgebung eine ideale Führung ermöglicht, wenn Implantate auf der Wirbelsäule angebracht werden. Und auch wir sind heute wegen einer Premiere hier: der europaweit ersten Implementierung der neuen Komplettlösung für die klinische Flowzytometrie in der hämatologischen Abteilung des Kliniklabors.
Dr. Vincent Pryfer, Facharzt für Hämatologie und Laborleiter, führt uns über die hellen Flure des Kliniklabors. Durch große Fenster sehen wir auf umliegende Waldgebiete. Unterwegs bleibt viel Zeit für Gespräche, die die Innovationen im Zeitgeschehen rückblickend wie kurze Momentaufnahmen erscheinen lassen. Es geht um die Entwicklung der Leukämiediagnostik. „Als Facharzt für Hämatologie würde ich sagen, dass es zumindest zu Beginn einer jeden Diagnostik immer noch nichts Besseres als ein mikroskopisches Bild gibt. Ich denke hier an die FAB-Klassifizierung, die für akute Leukämien und akute myelodysplastische Leukämien erstellt wurde. Allerdings beruht sie nur auf rein morphologischen Elementen“, merkt Dr. Pryfer an und fügt hinzu: „Seit meiner Promotion vor etwa 20 Jahren hat es allein drei WHO-Normen für die Klassifizierung von Leukämien gegeben, die von allen im Fachbereich Hämatologie praktizierenden Zentren angewendet werden.“
Nachdem über viele Jahre die morphologische Beurteilung maligner Zellen die Grundlage der Einteilung hämatologischer Neoplasien bildete, sind heutzutage flowzytometrische Analysen und molekularbiologische Befunde selbstverständlicher Teil der Kriterien der WHO-Klassifizierung. Das war ein wichtiger Schritt, wie Vincent Pryfer erklärt. „Zu Anfang musste man mit der Ausstattung auskommen, die zur Verfügung stand, d. h. mit dem Mikroskop für morphologische und einige physikalisch-chemische Eigenschaften“, fährt der Spezialist in Labormedizin fort und betont, wie schnell sich die Hämatologie-Diagnostik weiterentwickelt hat. Denn moderne Systeme können den mikroskopischen Verdacht nicht nur bekräftigen, sondern mithilfe von flowzytometrischen Daten und molekularbiologischen Analysen wie Translokations- und Mutationsparametern die Ursachen der Erkrankung sogar sehr anschaulich darstellen. Das präzisiert, beschleunigt und vereinfacht die Diagnostik und ist in vielen Fällen therapieentscheidend.
Mensch und Maschine – einfach ein gutes Team
In der hämatologischen Abteilung des Labors angekommen, beobachten wir die MTAs bei ihrer Arbeit an hochmodernen Analysesystemen. Das neue Zehn-Farben-Flowzytometer XF10 ist ebenfalls im Einsatz. Mit welchen Innovationen ist in Zukunft sonst noch zu rechnen? „Ich baue eher auf Bewährtes“, antwortet Vincent Pryfer und holt uns erneut von unserer gedanklichen Zeitreise auf den Boden der Tatsachen zurück. „Ich gehe davon aus, dass Maschinen den Menschen nicht ersetzen, sondern nur unterstützen können. Der erste Blick auf das Knochenmark sollte bei der Leukämiediagnostik keinesfalls vernachlässigt werden.“ Eine Leukämieuntersuchung erfolgt in der Regel über eine Knochenmarkanalyse. Und hierbei sei vor allem der menschliche Blick wichtig – denn makroskopische sowie anschließend mikroskopische Befunde seien und blieben für die Klassifizierung stets ausschlaggebend. „Moderne Technologien sind natürlich eine große Hilfe“, fügt der Biologe hinzu und betont zudem die hohe Bedeutung gründlicher Anamnesen.
Ein Beispiel: Im Labor kann ein einfacher Bluttest eine Anomalie der Lymphozyten aufzeigen. „Wenn diese Anomalie monomorph ist, d. h. wenn bei allen Lymphozyten die gleiche Anomalie beobachtet wird, kann es sich um ein lymphoproliferatives Syndrom handeln, z. B. ein Lymphom“, erklärt Dr. Pryfer. Seien die Veränderungen hingegen polymorph, handele es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit einfach um eine lymphozytische Aktivierung, wie bei Virusinfektionen wie einer Grippe. „Hier sieht man, wie wichtig die klinischen Daten sind. Wissen wir, dass die Blutprobe von einem Schulkind im Winter, wenn die Grippe umgeht, stammt, in dessen Klasse die Grippe gerade sowieso umgeht, ist die Diagnose einfach. Kommt sie hingegen von einer älteren Dame, die über Symptome einer Lymphodenopathie und Müdigkeit klagt, ist der Diagnoseansatz ganz anders.“ Der erfahrene medizinische Biologe und sein professionelles Team richten sich daher immer zuerst nach den klinischen Daten, dann werden Befunde unter dem Mikroskop betrachtet, und zuletzt folgen Analysen mittels Flowzytometrie und Molekularbiologie. Es bleibt also Teamwork und ist keinesfalls ein maschineller Alleingang.
HIV als Geburtsstunde der Flowzytometrie
„Meinen ersten Kontakt mit der Flowzytometrie hatte ich während meiner wissenschaftlichen Arbeit im Jahr 2006 an der Universitätsklinik Rennes“, berichtet Vincent Pryfer, dessen Thema die Typisierung follikulärer Lymphome war. Damals sei die Flowzytometrie im Labor der Klinik in Lausanne hauptsächlich für die Betreuung von HIV-Patientinnen und -Patienten verwendet worden. „Wir hatten aber ein Flowzytometer für die Typisierung von Leukozyten im Rahmen der Schweizer HIV-Kohortenstudie“, so der Facharzt. Die HIV-Kohortenstudie ist ein Projekt, das kurz nach der Entdeckung von HIV in den 80er-Jahren begonnen wurde und an dem das Labor der Clinique de La Source 2005 teilgenommen hat. „Damals wusste keiner genau, was HIV eigentlich ist. Was wir aber wussten, war, dass Menschen daran starben“, erinnert sich Vincent Pryfer. Um so viele Informationen wie möglich über das Virus zu gewinnen, starteten damals viele Länder HIV-Kohortenstudien. Als Teil dieser Unternehmung wurden und werden in der Clinique de La Source HIV-Erkrankte begleitet sowie ihr Plasma in Gefriertruhen und ihre Zellen in Flüssigstickstoff gelagert. Diese Konservierung von Proben aus der damaligen Zeit ist bedeutend, da es Forschenden ermöglicht, zu prüfen, wie z. B. neue Therapien auf die Virenstämme wirken.
Schon damals wurde jemand, der mit HIV infiziert war, mit serologischer Diagnostik als „seropositiv“ festgestellt. Das Ergebnis der Infektiologie wurde durch die Bestimmung der Viruslast im Blut ergänzt, wobei die Nachweislasten damals wesentlich höher lagen als heute. Und in dieser Situation lieferte die Flowzytometrie entscheidende Informationen. Mit ihr konnte das CD4/-CD8-Verhältnis bestimmt werden, also das Verhältnis von T-Helfer zu T-Suppressorzellen. Denn das Virus kann spezifisch CD4-Zellen befallen, sich in ihnen vermehren und diese zerstören. „Im Ergebnis ist es so“, erklärt Dr. Pryfer, „dass je geringer das Verhältnis von CD4 zu CD8 ausfällt, umso höher ist die Virusaktivität, die die Informationen der Viruslast ergänzt. Diese biologischen Daten sind für Infektiologen bei der Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten sehr wichtig.“
1986 hat die Clinique de La Source deshalb ein Flowzytometer angeschafft, mit einer Reihe von Maßnahmen, die sich auf HIV (CD4, CD8) konzentrieren. Heute umfasst das Gerät m ehr als 100 Marker. „Wir hatten damals ein Flowzytometer, mit dem wir wirklich nichts anderes als die Anzahl der CD4+-T-Helferzellen und das CD4/CD8-Verhältnis bestimmt haben. Es waren also nur zwei Marker für uns relevant. Heute messen wir damit rund 150 Marker. Wir sind noch weit davon entfernt, alle Möglichkeiten dieses Hightechgeräts auszuschöpfen.“ Die molekularbiologischen Geräte ermöglichen es, den Schwellenwert für die Erkennung der Viruslast auf weniger als 10 Kopien/Milliliter zu senken. Parallel dazu wird die Zytometrie ein wesentlich umfassenderes Panel für die Patientinnen und Patienten bieten.
Neue Komplettlösung in der Flowzytometrie
Und nun hat sich die Clinique de La Source als erste Klinik in Europa für die neue Komplettlösung für die klinische Flowzytometrie mit dem flowzytometrischen Analysesystem XF-1600 entschieden. Dieses hat den Vorteil, dass es sich mit dem Probenvorbereitungssystem PS-10 sowie mit den nahezu 200 Antikörperreagenzien aus dem Sysmex Webshop verbinden lässt. Auf diese Weise kann der gesamte Prozess der Antikörperfärbung, Inkubation und Flowzytometrie-Analyse vom Probenempfang bis zur Ergebnismeldung zuverlässig automatisiert werden. „Unser altes Drei-Farben-Flowzytometer aus dem Jahr 2000 musste ersetzt werden“, begründet Vincent Pryfer die Anschaffung. „Vor diesem Hintergrund ging es mir vor allem darum, im Rahmen der Leukämien das zu tun, was schon zu Beginn hätte getan werden müssen: die Hämatologie mit einem Flowzytometer zu verbinden.“ Viele Labore setzen die Flowzytometrie für die Leukämiediagnostik, wie in der WHO-Norm empfohlen, bereits ein. In der Clinique de La Source stand das System allerdings im engen Zusammenhang mit der HIV-Kohortenstudie – und somit im Labor am „falschen Ort“.
Und so nutzte Dr. Pryfer die Situation als Chance: „Wir haben uns für ein qualitativ hochwertiges Flowzytometer mit Entwicklungspotenzial entschieden. Und seit es hier ist, rufen mich meine Hämatologen fast jeden Tag an, um zu fragen, wann wir mit der Typisierung der lymphoproliferativen Erkrankungen beginnen. Genauso hatte ich mir das vorgestellt! Für mich bleibt die Flowzytometrie eine Spitzentechnologie.“ Ausschlaggebend für die Kaufentscheidung sei auch die gute Beratung von Sysmex und das Vertrauen in die hochwertige Qualität gewesen.
Erfahrungen mit dem neuen System
Mitten in der COVID-19-Pandemie ist es Dr. Pryfer und seinem Team gelungen, das neue Flowzytometer zu validieren. Schließlich hat das Labor der Clinique de La Source während der akuten Pandemiephasen mehr als 80.000 Coronatests pro Tag durchgeführt. „Es gab Lieferverzögerungen bei Geräten und Reagenzien und es passierte jede Menge Unvorhergesehenes. Aber wir haben es trotz allem geschafft – es war eine Teamleistung.“ Für Vincent Pryfer ist die Anschaffung des Analysesystems XF-1600 Teil eines größeren Plans, das Flowzytometer in die Hämatologie zu integrieren. „Die Tatsache, dass wir sowohl für die Hämotologie als auch für das Flowzytometer denselben Lieferanten haben, nämlich Sysmex, ermöglicht es uns, den Workflow viel effizienter zu gestalten.“ So könne er schnell und optimal auf Anfragen von Einsendenden reagieren und Zellanomalien direkt im Labor auf Ursachen untersuchen.
„Sie bekommen von uns das komplette Ergebnis geliefert. Das ist doch wirklich beeindruckend.“ Nicht nur während der Pandemie hat sich gezeigt, dass diagnostische Antikörper ein wirksames Mittel auch zur Früherkennung von Erkrankungen sein können. „Ich persönlich sehe in der Flowzytometrie großes Potenzial“, äußert sich Vincent Pryfer optimistisch. „Auf jeder Zelle gibt es Tausende von Epitopen, also Antigene, als eine Art zellspezifische kleine Etiketten.“ Mit der Untersuchung gewisser Epitope und spezifischer Antikörper sei es möglich, die Zellen zu charakterisieren und darüber hinaus über die Intensität der Expression weitere Aussagen zu treffen. „Nehmen wir beispielsweise Proerythroblasten. Diese exprimieren im Laufe ihrer Entwicklung Oberflächenmoleküle, die zu einem späteren Zeitpunkt wieder verschwinden. Ich spreche von der Hämatologie, das ist aber auch in anderen Bereichen der Fall. Neben dem Nachweis oder dem Fehlen bestimmter Moleküle auf Zelloberflächen ist auch die Expressionsdichte und damit die Intensität dieser Moleküle von klinischer Bedeutung“, erläutert Dr. Pryfer.
Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft
Neben den klassischen hämatologischen Einsatzbereichen wie Lymphom- und Leukämiediagnostik sowie partiell der Anämiediagnostik (hier vor allem die Diagnostik der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobulinämie (PNH)) kann die Flowzytometrie auch in anderen diagnostischen Bereichen eingesetzt werden. Hierzu gehört unter anderem die Bestimmung von HLA-B27 bei Morbus Bechterew oder Uveitis, aber auch die Charakterisierung primärer oder sekundärer Immundefekte.
„Es wäre falsch zu sagen, dass sich die Entwicklung der Flowzytometrie noch am Anfang befindet, denn sie ist seit Jahren fester Bestandteil der Routinediagnostik. Aber ich glaube fest daran, dass sich die Technologie noch enorm weiterentwickeln wird.“ Vorstellbar ist aus Dr. Pryfers Sicht auch ein Einsatz der Flowzytometrie im Bereich der funktionellen Biologie, die in der Clinique de La Source zukünftig eine Rolle spielen wird. Dabei handelt es sich um einen Zweig der personalisierten Medizin, bei dem es darum geht, Zell-, Gewebe- und Organfunktionen gezielt zu optimieren.
Am Ende steht fest: Der Hämatologe sieht die Möglichkeiten des XF-1600 längst nicht ausgeschöpft. Dr. Vincent Pryfer kehrt zurück an die Arbeit, und die Clinique de La Source wird im Rückspiegel immer kleiner.
Summary
- Im Labor der Privatklinik Clinique de La Source wird der XF-1600 für die Leukämieanalytik eingesetzt. Ärztinnen und Ärzte profitieren nun von präzisen Befunden zu Ursachen von Anomalien
- Der XF-1600 bietet in Kombination mit dem Probenvorbereitungssystem PS-10 die erste Komplettlösung für die Flowzytometrie
Fotoquelle: Sébastien Agnetti