Sysmex Deutschland
Menu

Beam me up, Arik

XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2021

 

Wie könnte außerirdisches Leben beschaffen sein? Das leitet der Cambridge-Zoologe Dr. Arik Kershenbaum aus wissenschaftlichen Erkenntnissen her. Einblicke in seine Forschung und ein Ausblick in die „Hämatologie des Weltalls“

Text: Verena Fischer

Vorstellungen von Außerirdischen stammen bisher vor allem aus der Fantasie von Hollywood-Filmproduzenten und Science-Fiction-Autoren.  Arik Kershenbaum, Studiendirektor im Bereich Zoologie an der Cambridge University, widmet sich dem Thema nun erstmals aus wissenschaftlicher Sicht. In seinem Buch „The Zoologist’s Guide to the Galaxy“ philosophiert er, wie Leben im Weltall beschaffen sein könnte, und zieht dafür naturwissenschaftliche Lehren wie die Evolutionstheorie von Darwin heran. „Es ist davon auszugehen, dass die Gesetze, die besagen, wie sich Lebensformen an ihre Umwelt anpassen, universell sind – und damit auch an anderen Orten des Universums gelten“, begründet er seine Herangehensweise. 

 

Urknall und Paradebeispiel Erde

Vor etwa 13,8 Milliarden Jahren ist mit dem Urknall unser gesamtes Universum entstanden. „Das Leben auf der Erde begann viel später. Vermutlich waren es kleine repetitive Sequenzen, ähnlich heutiger RNA, die sich in den warmen Teichen auf der Erdoberfläche vervielfältigten“, erklärt Kershenbaum.  Eine zufällige Verbindung der RNA mit eine Fetthülle erzeugte Schutz vor Umwelteinflüssen.  „Die ersten Zellen waren entstanden, von denen sich eine gegen alle anderen durchsetzte und zum einzigen Vorfahren allen Lebens auf der Erde wurde.“  Diese Urzelle heißt auch LUCA (Last Universal Common Ancestor). 

Als LUCA sich verbreitete und vermehrte, waren alle Nachkommen mit derselben Herausforderung konfrontiert: woher Energie bekommen?  Und so entwickelten die Organismen Organe, die Sonnenlicht einfangen und als Energiequelle nutzen konnten – kein Organismus verstoffwechselte damals etwas anderes als Sonnenlicht. Und da endlos viel davon vorhanden war, gestaltete sich das Leben friedlich. Der amerikanische Paläontologe Mark McMenamin nannte dieses vor 600 Millionen Jahren herrschende Ediacarium-Zeitalter deshalb auch „Garden of Ediacara“.

Doch dann kam, was kommen musste – Stress im Paradies. „Es gibt keinen Grund für Innovation, wenn es keinen Wettbewerb gibt“, erklärt Kershenbaum. „Vielleicht wurde es am Strand plötzlich zu voll zum Sonnenbaden. Vielleicht änderte sich das Klima und der endlose Lunch war vorbei.“  Doch eine Kreatur schaffte es, auf eine neue Energiequelle auszuweichen – sie verdaute einen anderen Organismus. Von nun an waren die Lebewesen, die sich nicht anpassten, schlichtweg Nahrung.  „Sämtliche Angriffs- und Verteidigungsmechanismen begannen sich zu entwickeln. Schützende Stacheln und Panzer, Zähne, Augen und Krallen bildeten sich aus. Das Leben, wie wir es heute kennen, begann.“

Blick über den Tellerrand

Leben an anderen Orten der Galaxie kann auf komplett andere Weise entstanden sein, betont Kershenbaum.  Doch sei davon auszugehen, dass Evolutionsgesetze wie „Survival of the Fittest“ und „Form Follows Function“ überall gelten. Und ebenso wahrscheinlich sei, dass Außerirdische vergleichbare Anpassungsstrategien entwickelt hätten, um im Kampf um Nahrung und Lebensraum wettbewerbsfähig zu bleiben: Fortbewegung, Kommunikation, Intelligenz, Geselligkeit, Sprache und Nächstenliebe mögen fernen Weltraumbewohnern geholfen haben, zu überleben. 

Beispiel Bewegung: Pflanzen nutzen Sonnenenergie, um Nährstoffe zu erzeugen, und können daher auf Fortbewegung verzichten. „Tiere sind hingegen multizelluläre Organismen, die keine eigenen Nährstoffe herstellen können und deshalb Materia verdauen, zu dem sie sich erst hinbewegen müssen“, so Kershenbaum. Deshalb haben Tiere unterschiedliche Fortbewegungsorgane wie Flügel, Beine oder Flossen ausgebildet. „Ein außerirdisches Tier könnte vielleicht Blätter besitzen und Photosynthese durchführen, so wie Groot aus dem Film, Guardians of the Galaxy‘“, ergänzt er. Kategorisierungen wie „Tiere bewegen sich“ und „Pflanzen betreiben Photosynthese“ solle man nicht überbewerten. 

Hämatologisches Sci-Fi

Sicher ist jedenfalls: Alles Leben braucht Energie.  „Das bedeutet, dass jeder Alien von nennenswerter Größe wahrscheinlich eine Möglichkeit haben muss, seinen Körper mit Energie zu versorgen“, schlussfolgert Kershenbaum. Dafür brauche es aber nicht zwingend Blut. Der Physiker Fred Hoyle postulierte eine gasförmige Lebensform mit Strömen von ionisiertem Gas, das den Organismus mit Energie und Nährstoffen versorgt. Auch Insekten haben kein Blut – sie sind klein genug, um Sauerstoff durch Diffusion aufzunehmen. „Aber sie haben dennoch eine zirkulierende Flüssigkeit, die Nährstoffe transportiert. Eine Art von Blutäquivalent scheint also wahrscheinlich.“

Fast unvorstellbar sei es, dass außerirdisches Blut mit dem von Erdbewohnern zu verwechseln ist. „Wie Blut zusammengesetzt ist, hängt sehr spezifisch von den Besonderheiten der evolutionären Vergangenheit des jeweiligen Lebewesens ab“, erklärt der Zoologe. „Mollusken haben etwa blaues Blut auf Kupferbasis, und sie haben dies unabhängig von den blaublütigen Krebsen entwickelt. Die evolutionären Umstände werden also enorm wichtig sein, um zu bestimmen, wie das Blut von Aliens genau aussieht. Und es wird sicher nicht wie menschliches Blut sein.“ 

Erythrozyten sind kein Muss

Rote Blutkörperchen sind auf der Erde spezifisch für Wirbeltiere. „Es gibt also keinen Grund anzunehmen, dass Außerirdische Blutzellen wie wir haben“, so der Brite. Die Vielfalt des Lebens auf der Erde sei ein Schlüssel für die Diversität möglicher evolutionärer Lösungen auf anderen Planeten.  Bis zu einem gewissen Grad hänge es von der Aktivität des Organismus ab, wie das Blut seine Funktionen, speziell als Energieversorger, ausführt.  „Wenn Aliens besonders schnell oder ständig in Bewegung sind, haben sie einen höheren Energiebedarf. Die Entwicklung von Blutzellen auf der Erde war eine Lösung, Energie schnell zu liefern.  Aber es könnte andere Lösungen auf anderen Planeten geben“, so Kershenbaum. 

Krankheiten sieht der Wissenschaftler als ein niverselles Problem: „Erreger stehen unter evolutionärem Druck, und jede ungenutzte Ressource, also auch jeder Körper, ist eine attraktive Energiequelle“, erklärt der Forscher. Und gibt es dann auch Mediziner auf anderen Planeten? „Es ist verlockend, darüber zu spekulieren, denn wenn Aliens in einer Gesellschaft organisiert sind, ist es natürlich von Vorteil, diese durch die Kontrolle von Krankheiten am Laufen zu halten.“ Ausnahmen könnten Gruppen sein, deren Individuen extrem kurzlebig sind.  „Aber ich denke, dass ein außerirdisches Raumschiff im Allgemeinen einen medizinischen Offizier haben wird.“ 

Galaktische Überlebensstrategien

„Der Trick, um die Möglichkeiten außerirdischen Lebens zu verstehen, ist, sich die Evolution der Vielfalt auf der Erde anzusehen“, betont Kershenbaum.  Außerirdische besitzen eine Immunabwehr, davon ist er überzeugt. Immunsysteme haben sich sehr früh in der Geschichte des Lebens auf der Erde entwickelt, jeder vielzellige Organismus auf dem Planeten hat eines. „Es ist davon auszugehen, dass Außerirdische mindestens eine Haut oder eine physische Barriere haben, um zu verhindern, dass Krankheitserreger in ihre empfindlichen Organe eindringen“, sagt er.

Unsterblichkeit hält Kershenbaum hingegen für unwahrscheinlich: „Unsterblichkeit ist philosophisch und evolutionsbiologisch sehr problematisch“, erklärt er. „Sie wird sich nicht von selbst entwickeln, weil sie viel zu kostspielig ist. Das heißt, die Energie, die man investieren müsste, um unsterblich zu werden, kann man besser darin investieren, schneller zu laufen oder mehr Kinder zu bekommen.“  Eine hinreichend fortgeschrittene Zivilisation könne jedoch entscheiden, dass sie Unsterblichkeit anstreben will. Das Problem sei aber, dass diese bald erkennen wird, dass selbst für eine technologisch fortgeschrittene Zivilisation der Kompromiss zwischen längerem und besserem Leben nicht verschwindet. „Unsterblichkeit mag möglich sein, aber sie ist es wahrscheinlich nicht wert.“ 

Tipp: Oberflächlichkeit vermeiden

Acht Arme, neun Gehirne, drei Herzen – ein Alien?  Falsch: ein Oktopus, das mit dem Menschen am entferntest verwandte Lebewesen. Und doch  ähnelt er uns in seiner Art zu handeln viel mehr,  als man glaubt: Oktopusse werden in Laboren  tatsächlich dabei beobachtet, wie sie aus ihrem  Aquarium heraus über den Flur in ein fremdes  Becken gleiten, dort sämtliche Fische auffressen  und sich dann – als wär nichts gewesen – zurück  in ihr Aquarium bewegen. Was uns das über Außerirdische verrät? „Verwandtschaft wird häufig herangezogen, um Lebewesen auf der Erde miteinander in Beziehung zu setzen. Wir sollten aber nicht davon ausgehen, dass ferne oder auch gar keine Verwandtschaft oder die Fremdartigkeit von Körpern ein Indikator für fehlende Gemeinsamkeiten sein muss“, betont Kershenbaum. 

Ob Außerirdische zwei, acht oder gar keine Beine haben, spielt für den Wissenschaftler keine große Rolle: „Ich gehe davon aus, dass Kommunikation unsere größte Gemeinsamkeit mit außerirdischen Besuchern sein wird“, sagt er. Angenommen, ein Raumschiff landete morgen auf der Erde, dann sei eines sicher: „Wenn Außerirdische den Weg zu uns finden, handelt es sich bei ihnen um eine hochtechnisierte Lebensform. Und diese setzt ein hohes Level an Sozialkompetenz voraus.“ Ob die Besucher friedlich sind – oder eher kämpferisch wie wir –, darüber ließe sich erst mal nichts sagen. „Aber wenn sie mit ihrem Raumschiff bei uns landen, dann ist das ein sicheres Zeichen, dass die Wesen miteinander kommunizieren. Sei es auf akustische, visuelle oder elektrische Art“, ist Kershenbaum überzeugt. 

Summary

  • Kershenbaum nutzt Darwins Gesetze als Basis für seine Theorien über Außerirdische 
  • Die Vielfalt der Erde sieht der Forscher als Schlüssel für evolutionäre Lösungen im All   

Fotoquelle: Stocksy, Girton College

Copyright © Sysmex Europe SE. All rights reserved.