Unterstützung für Kliniker
XTRA-ARTIKEL AUSGABE 2/2021
Klinikärzte erhalten einen sehr viel einfacheren Zugriff auf Informationen aus dem Labor: Dafür sorgt ein Clinical Decision Support System, das an der Uniklinik Leipzig entwickelt wird
Text: Heinz-Jürgen Köhler
Hell scheint die Sonne in den Laborraum. Wenige Frauen und Männer in weißen Kitteln und mit Mundschutz bewegen sich zwischen den Geräten, ein Analyser wird von einem Servicetechniker gewartet. Unzählige Probenröhrchen laufen auf speziellen Straßen zu den unterschiedlichen Analysegeräten. Mehr als 2.000 Proben am Tag werden hier befundet. „Dort ist unsere Hämatologie-Straße, da die Urindiagnostik“, erklärt Labormediziner Dr. Thorsten Kaiser. „Alles natürlich in Redundanzen, wir sind schließlich eine 24/7 Einrichtung.“ Ein hochmodernes, perfekt organisiertes Universitätslabor.
Was das Institut für Labormedizin – Direktor: Prof. Dr. med. Berend Isermann – des Universitätsklinikums Leipzig mit seinen 1.500 Betten darüber hinaus noch besonders macht, kann man nicht sehen, ist aber eine wegweisende Anwendung, die auf ziemlich einzigartige Weise die Labor- mit der Klinikmedizin vernetzt. Unter der Leitung von PD Dr. Kaiser wurde ein Projekt entwickelt, bei dem aus den Befunden, die das Labor erhebt, eine Entscheidungsunterstützung für die Kliniker generiert wird. Dieses Clinical Decision Support System (CDSS) heißt AMPEL, ein Akronym für „Analyse- und Meldesystem zur Verbesserung der Patientensicherheit durch Echtzeit-integration von Laborbefunden“.
Hunderte von Werten
„Die Labormedizin erstellt üblicherweise einen Befund aus Ergebnissen, Hinweisen sowie labormedizinischen Kommentaren. Dieses muss der Kliniker für eine Diagnose zum Teil miteinander, zum Teil mit Vorwerten aufwendig ins Verhältnis setzen“, so der leitende Oberarzt am Institut für Labormedizin, Klinische Chemie und Molekulardiagnostik. Wenn nun ein Arzt Visite bei vielleicht 25 Patienten macht, wird er in der Summe mit Hunderten von Werten konfrontiert. „Das kann keiner ständig im Kopf haben.“ Und Thorsten Kaiser weiß, wovon er spricht, er ist auch Facharzt für Innere Medizin.
Diese doppelte Ausbildung und Erfahrung hat Kaiser für das Projekt geradezu prädestiniert. Ende 2018 startete das mit mehr als 2,6 Millionen Euro geförderte Projekt. Die Maßnahme AMPEL wird mitfinanziert durch Steuermittel auf Grundlage des von den Abgeordneten des sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts. Die Uni Leipzig arbeitet dabei mit den kleineren sächsischen Muldentalkliniken und einem Softwarespezialisten zusammen.
Das erste sogenannte Regelwerk, mit dem AMPEL getestet wurde, war eines zur Diagnose von Hypokaliämie, also Kaliummangel: ein sehr ernst zu nehmender Ansatz, weil lebensbedrohlicher Kaliummangel unter anderem zu Kammerflimmern führen kann. Regelwerk ist diesem Zusammenhang wörtlich zu nehmen – als ein Entscheidungsbaum im Sinne einer Softwareprogrammierung. Im Falle der Hypokaliämie gibt es zwei Kriterien: Wenn (1) die Kaliumkonzentration unter 2,5 mmol/l liegt und (2) die Zeit bis zur nächsten Kontrollmessung über sechs Stunden, dann gibt AMPEL einen Alarm aus. „Dieser wird im Krankenhausinformationssystem (KIS) angezeigt“, er-klärt Thorsten Kaiser. „Gegebenenfalls wird der Alarm auch telefonisch übermittelt.“
Erprobte Regelwerke
Nach der erfolgreichen Erprobung dieses Regelwerks machten sich Kaiser und sein Team an weitere Anwendungsfälle. Inzwischen gibt es neben Regelwerken für Elektrolytstörungen wie dem Kaliummangel auch solche für Nierenversagen, Herzinfarktdiagnostik und Mangelernährung. Das komplexeste ist das Regelwerk zur Anämiediagnostik, das auch die 2020 aktualisierte Transfusionsrichtlinie berücksichtigt. „Hier greift das AMPEL- System den Hämoglobinwert sowohl aus dem Laborinformationssystem als auch von den POCT-Geräten ab und prüft das Vorliegen einer Verträglichkeitsprobe bei transfusionspflichtigen Anämien“, erklärt Kaiser. „Hinzu kommen die Anzahl der gekreuzten sowie ausgegebenen Erythrozytenkonzentrate aus der Transfusionssoftware und die Diagnosen und Komorbiditäten aus dem Patienteninformationssystem.“ Diese medizinisch exakte Abbildung im Zweifel auch vieler Einzelkriterien ist ihm wichtig. „Weil wir keine Fehlalarme generieren dürfen.“ Fehlalarme erhöhen den Stress der Kliniker und können zu Alarmmüdigkeit führen – beides fatale Folgen, schließlich sollen Klinikärzte ja entlastet werden. Abgearbeitet werden diese Einzelkriterien im Entscheidungsbaum von einem nachprüfbaren Routinealgorithmus. Im AMPEL-System arbeitet keine echte künstliche Intelligenz, weil die ja im Zweifel nicht nachprüfbare, also intransparente Entscheidungen träfe. Dass das System transparent arbeitet, ist Kaiser sehr wichtig. Mit den genannten Regelwerken arbeitet das Universitätsklinikum Leipzig inzwischen erfolgreich – zum Wohl der Patienten. „Wir hatten zum Beispiel einen Fall von unentdeckter maligner Hyperkalzämie“, erzählt Dr. Kaiser. „Trotz mehrfach vorliegender labormedizinischer Analytik führte erst der AMPEL-Alarm dazu, dass die Diagnose gestellt und der Patient spezifisch behandelt wurde.“
Summary
- Das AMPEL-System stellt eine spezielle Vernetzung zwischen Klinikern und Labormedizinern her
- Das Clinical Decision Support System löst gestützt auf Algorithmen Alarm aus, wenn sich aus der labor-medizinischen Diagnostik und klinischen Dokumentation Hinweise auf fehlende oder verzögerte medizinische Konsequenzen ergeben