„Wie sieht die Diagnostik der Zukunft aus, Ranga Yogeshwar?“
XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2023
In seinem neuen Buch „Nächste Ausfahrt Zukunft“ setzt sich Wissenschaftsjournalist und Autor Ranga Yogeshwar auch mit dem Einfluss von künstlicher Intelligenz auseinander. Im Interview erklärt er, wie diese die Diagnostik transformieren wird
Text Verena Fischer
Herr Yogeshwar, wird die Diagnostik der Zukunft eine andere sein?
Davon ist auszugehen. Im Moment ist es ja so, dass Befunde vor allem den Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Anamnese spiegeln. Zukünftig wird sich Diagnostik mehr zu einem kontinuierlichen Prozess mit lückenloser Datenerhebung entwickeln. Das liegt daran, dass wir mit der Kombination aus künstlicher Intelligenz – KI – und immer komplexer werdenden Mikrochips ganz neue Möglichkeiten haben. Verbaut in Wearables wie Smartphones oder -watches lassen sich damit Vitalwerte in Echtzeit messen und auswerten. Forscher arbeiten außerdem an Sensorchips, die Parameter aus Körperflüssigkeiten erheben können, sodass sich ein wachsender Teil der Labordiagnostik bei Patienten zu Hause abspielen wird.
Was macht „Smart Diagnostik“ mit uns als Gesellschaft?
Wir müssen natürlich aufpassen, dass wir durch die kontinuierliche Messung von Vitalparametern nicht in eine Angstspirale geraten oder in die Versuchung, uns ständig selbst zu optimieren. In beiden Fällen würde maschinelle Technik unser Verhalten dann viel stärker als heute bestimmen. Es stellt sich immer die Frage, ob Menschen noch Maschinen programmieren oder wir schon den umgekehrten Fall erleben. Handelt es sich um Wearables von Tech-Firmen, sollte man schauen, dass sich dahinter kein ökonomisches Modell verbirgt, das versucht, Menschen Angst zu machen, um weitere Produkte zu verkaufen. Einen guten Umgang mit neuen Technologien zu finden, ist eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre, denke ich.
Das betrifft auch das Thema Datenschutz, oder?
Das ist ein wichtiges Thema. Die Ironie ist, dass wir hierzulande einerseits sehr streng mit Datenschutz umgehen und andererseits den allgemeinen Geschäftsbedingungen von digitalen Tools oft ungelesen zustimmen. Problematisch ist, dass wir innovationstechnisch nicht das Zepter in der Hand haben, sondern vor allem China und die USA führend sind. Wir müssen aufpassen, dass wir als Europäer unabhängig bleiben und Wege finden, hochwertige Gesundheitsdaten für die Forschung zu sammeln. Denn daraus ergeben sich enorme Chancen – beispielsweise ließen sich ganz neue Zusammenhänge zwischen individuellen Parametern und dem Nutzen bestimmter Therapien herstellen. Medizin würde weniger nach dem Motto „One size fits all“ ablaufen.
Gibt es Tools, die die Diagnostik revolutionieren?
Es gibt auf jeden Fall sehr innovative Ansätze für die Befundung. Dazu gehören Spracherkennungs-Apps, die über Algorithmen minimale Stimmänderungen registrieren und so Parkinson frühzeitig erkennen können. Sehr interessant sind auch intelligente Gesichtserkennungssoftwares, die dazu in der Lage sind, eine Phänotypanalyse durchzuführen und so beispielsweise die Diagnostik seltener Erkrankungen ermöglichen, die von typischen Dysmorphien begleitet werden.
Wie verändert sich durch solche Ansätze das Verhältnis zwischen Behandelnden und Behandelten?
Kaum, würde ich sagen. Wie gesagt, suchen Algorithmen vor allem nach Übereinstimmungen und Abweichungen. Um die Gesamtsituation des Patienten mit allen individuellen Parametern zu betrachten, braucht es aber den behandelnden Arzt. Genauso wichtig bleibt das Zwischenmenschliche. Studien belegen, dass empathische Ärzte die Genesung beschleunigen. Und Empathie ist etwas, das KI nicht ersetzen kann. Medizin wird nie ein Automat sein, in den man oben einen Menschen reinsteckt und unten ein Ergebnis herausbekommt.
RANGA YOGESHWAR ist in Indien aufgewachsen, hat in Aachen Experimentelle Elementarteilchenphysik und Astrophysik studiert und dann in der Schweiz geforscht. Seit 40 Jahren ist er als Journalist tätig und hat über 60 Fachpreise erhalten