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Scientific Kalender Juli 2022

Thrombotische Ereignisse bei Patienten mit Afibrinogenämie

 

Bei welcher Erkrankung kann es bei Afibrinogenämie-Patienten zu thromboembolischen Ereignissen kommen?

Bei gleichzeitigem Vorliegen einer erworbenen oder hereditären Thrombophilie.

Unter Therapie mit gefrorenem Frischplasma oder Kryopräzipitaten.

Afibrinogenämie an sich ist eine Erkrankung, die mit einem Thromboserisiko behaftet ist.

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Wissenschaftliche Hintergrundinformationen

Afibrinogenämie ist das vollständige Fehlen von Fibrinogen und durch Blutungen gekennzeichnet, die sich typischerweise im Neugeborenenalter als Nabelschnurblutungen auftreten. Auch in der Haut, den Weichteilen, Muskeln, Gelenken, dem Gastrointestinaltrakt oder dem Urogenitaltrakt kann es zu Blutungen kommen. Hirnblutungen treten seltener auf, können jedoch rezidivierend sein und sind häufig letal. [1, 2] Die Blutungsneigung ist stark unterschiedlich ausgeprägt; es können einige wenige, aber auch mehrere Episoden im Jahr auftreten. Bei Afibrinogenämie-Betroffenen sind gerinnselbasierte Gerinnungstests unbestimmt verlängert und weder Fibrinogenaktivität noch -antigen nachweisbar. [3, 4]

Laborwert Ergebnis bei Afibrinogenämie-Patienten
Thromboplastinzeit (TPZ) Keine Gerinnung
Partielle Thromboplastinzeit (PTT) Keine Gerinnung
Thrombinzeit Keine Gerinnung
Fibrinogenaktivität Nicht nachweisbar
Fibrinogenantigen Nicht nachweisbar

Tabelle 1 Laborwerte bei Afibrinogenämie-Patienten

Patienten mit Afibrinogenämie besitzen zusätzlich zum erhöhten Blutungsrisiko ein signifikant erhöhtes Risiko thromboembolischer Ereignisse. Solche Ereignisse können bereits in jungen Jahren auftreten und äußern sich häufig in Form rezidivierender arterieller oder venöser Thrombosen. In nicht wenigen Fällen wandert das Gerinnsel in die Lungengefäße und führt zur Obstruktion oder Stenose einer Pulmonal- oder Bronchialarterie. Seltener beobachtete thrombotische Ereignisse sind gemischte Formen der arteriellen und venösen Thrombose. [4, 5, 6]

Das erhöhte Thromboserisiko bei Personen mit absolutem Fibrinogenmangel lässt sich in erster Linie durch die antithrombotische Wirkung des Fibrins erklären; darüber hinaus spielt das Vorliegen typischer Risikofaktoren für Thrombosen, etwa Rauchen, Bluthochdruck, Adipositas und Anwendung von oralen Kontrazeptiva, eine Rolle. [7, 8, 9] Das Fibrin verringert die Aktivierung des Prothrombins und bindet außerdem im Blut zirkulierendes Thrombin. [10, 11] Wenn kein Fibrin vorhanden ist, bleibt das freie Thrombin für die Thrombozytenaktivierung verfügbar und es werden unter anderem verschiedene Wachstumsfaktoren ausgeschüttet, die zur Zellproliferation der glatten Gefäßmuskulatur führen. [12, 13] Lösliches Fibrinogen kann auch die Thrombozytenadhäsion hemmen. Bei Afibrinogenämie-Patienten fehlen beide antithrombotische Funktionen, die des Fibrins (auch als Antithrombin I bezeichnet) und die des Fibrinogens. Die Thrombusbildung wird zudem durch weitere Adhäsionsproteine wie Fibronektin oder von-Willebrand-Faktor aufrechterhalten. Die resultierenden Thromben sind locker gepackt und somit instabil und anfällig für Mobilisation. [13]

Ein weiteres Risiko thromboembolischer Ereignisse bei Afibrinogenämie-Betroffenen ist das gleichzeitige Vorliegen einer erworbenen oder hereditären Thrombophilie. Personen mit angeborenem Antithrombin-III-Mangel besitzen ein signifikant erhöhtes Risiko von spontanem schwerem Arterienverschluss, beispielsweise akutem Koronarsyndrom und Schlaganfall, Venenthrombosen und Lungenembolie. [14] Von ähnlichen Fällen wurde im Zusammenhang mit begleitendem Protein-C-Mangel berichtet. [15, 16] Zu den erworbenen Risikofaktoren gehören Infektionen und maligne Erkrankungen.

Die Fibrinogensubstitution bedeutet für Afibrinogenämie-Patienten ein zusätzliches Risiko. Gefrorenes Frischplasma (FFP) und Kryopräzipitate enthalten Fibrinogen und große Mengen weiterer Proteine wie Fibronektin, VWF und Faktor VIII, und schaffen damit ein gerinnungsförderndes Milieu. FFP ist zudem mit transfusionsbedingten Risiken wie der transfusionsassoziierten akuten Lungenschädigung oder der unerwünschten Infusion von Mikroorganismen verbunden.

Die Fibrinogenkonzentrat-Substitution ist bei Afibrinogenämie-Patienten die Ersatztherapie der Wahl, denn sie ist mit einem geringeren Risiko von Nebenwirkungen behaftet und weist gleichzeitig eine höhere therapeutische Wirksamkeit auf. [17] Zudem wurde nachgewiesen, dass sich durch Gabe von Fibrinogenkonzentraten die Thrombozytenadhäsion und -aggregation selbst bei niedrigen Fibrinogenkonzentrationen wirksam verringern lässt. [13, 18] Bei von Afibrinogenämie betroffenen Frauen verläuft eine Schwangerschaft mit höherer Wahrscheinlichkeit erfolgreich, wenn sie frühzeitig mit Fibrinkonzentraten oder Kryopräzipitaten behandelt werden und die substituierte Menge auf den Fibrinogenbedarf während der Schwangerschaft abgestimmt wird.

Die Behandlung von Afibrinogenämie-Patienten kann eine Herausforderung darstellen, da parallel zur Prophylaxe und Behandlung von Blutungen auch die Prophylaxe, und im schlimmsten Fall die Behandlung, von Thrombosen erfolgen muss. Die Behandlung thrombotischer Ereignisse umfasst die Gabe von Antikoagulanzien, Aggregationshemmern und Fibrinolytika. [19, 20] Die Behandlung von Blutungsepisoden sollte idealerweise mit Fibrinogenkonzentraten erfolgen, die individuell an Alter, Körpergewicht und aktuelle Situation (z. B. Schwangerschaft) angepasst werden, und eine Verlaufskontrolle mittels Fibrinogenaktivitätstests umfassen. [21, 22]

Literatur

[1] de Moerloose P, Neerman-Arbuz M. (2009): Congenital fibrinogen disorders. Semin Thromb Hemost; 35: 356–366.

[2] Acharya SS, DiMichel DM. (2008): Rare inherited disorders of fibrinogen. Haemophilia; 14: 1151–1158.

[3] Neerman-Arbez M, et al. (2016): Laboratory and Genetic Investigation of Mutations Accounting for Congenital Fibrinogen Disorders. Semin Thromb Hemost; 42(04): 356–365.

[4] Alessandro Casini, Marguerite Neerman-Arbez, Philippe de Moerloose. (2021): Heterogeneity of congenital afibrinogenemia, from epidemiology to clinical consequences and management. Blood Reviews; Volume 48, 100793.

[5] Lak M, et al. (1999): Bleeding and thrombosis in 55 patients with inherited afibrinogenaemia. Br J Haematol; 107: 204–206.

[6] Bornikova L, et al. (2011): Fibrinogen replacement therapy for congenital fibrinogen deficiency. Journal of Thrombosis and Haemostasis; 9: 1687–1704.

[7] Abdollahi M, Cushman M, Rosendaal FR. (2003): Obesity: risk of venous thrombosis and the interaction with coagulation factor levels and oral contraceptive use. Thromb Haemost; 89(3): 493–498.

[8] Newby DE, et al. (1999): Endothelial dysfunction, impaired endogenous fibrinolysis, and cigarette smoking: a mechanism for arterial thrombosis and myocardial infarction. Circulation; 99: 1411–1415.

[9] Leone A. (2007): Smoking, haemostatic factors, and cardiovascular risk. Curr Pharm Des; 13(16): 1661–1667.

[10] Mosesson MW. (2003): Antithrombin I. Inhibition of thrombin generation in plasma by fibrin formation. Thromb Haemost; 89(1): 9–12.

[11] de Bosch NB, Mosesson MW, Ruiz-Saez A, Echenagucia M, Rodriguez-Lemoin A. (2002): Inhibition of thrombin generation in plasma by fibrin formation (Antithrombin I). Thromb Haemost; 88(2): 253–258.

[12] Dupuy E, et al. (2001): Embolized ischemic lesions of toes in an afibrinogenemic patient: possible relevance to in vivo circulating thrombin. Thromb Res; 102(3): 211–219.

[13] Korte W, Feldges A. (1994): Increased prothrombin activation in a patient with congenital afibrinogenemia is reversible by fibrinogen substitution. Clin Investig; 72(5): 396–398.

[14] Le Quellec S, Desjonqueres A, Rugeri L, et al. ( 2018): Combined life-threatening thromboses and hemorrhages in a patient with afibrinogenemia and antithrombin deficiency. Thrombosis J; 16, 6.

[15] De Mattia D, Regina G, Giordano P, Del Vecchio GC, Altomare M, Schettini F. (1993): Association of Congenital Afibrinogenemia and K-Dependent Protein C Deficiency—A Case Report. Angiology; 44(9): 745–749.

[16] Hanano M, Takahashi H, Itoh M, Shibata A. (1992): Coexistence of congenital afibrinogenemia and protein C deficiency in a patient. Am J Hematol; 41(1): 57–60.

[17] Casini A, de Moerloose P. (2020): Fibrinogen concentrates in hereditary fibrinogen disorders: Past, present and future. Haemophilia; 26(1): 25–32.

[18] Reininger AJ, et al. (1995): Effect of fibrinogen substitution in afibrinogenemia on hemorheology and platelet function. Thromb Haemost; 74(3): 853–858.

[19] Sartori MT, et al. (2015): Thrombosis of abdominal aorta in congenital afibrinogenemia: case report and review of literature. Haemophilia; 21(1): 88–94.

[20] Castaman G, et al. (2009): Severe spontaneous arterial thrombotic manifestations in patients with inherited hypo- and afibrinogenemia. Haemophilia; 15(2): 533–537.

[21] Khayat CD, et al. (2020): Pharmacology, Efficacy and Safety of a Triple-Secured Fibrinogen Concentrate in Children Less than or Equal to 12 Years with Afibrinogenaemia. Thromb Haemost; 120(6): 957–967.

[22] Bellon A, et al. (2020): Population pharmacokinetics of a triple-secured fibrinogen concentrate administered to afibrinogenaemic patients: Observed age- and body weight-related differences and consequences for dose adjustment in children. Br J Clin Pharmacol; 86: 329–337.

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