Blutbeutel sind weltweit Mangelware und werden zukünftig noch knapper. „Wegen des demografischen Wandels tritt ein Großteil der Patientinnen und Pati- enten, die noch vor fünf bis zehn Jahren Blut gespendet haben, jetzt in die Alterskohorte ein, die die Blutprodukte benötigen“, bestätigt Prof. Andrea Steinbicker, stellver- tretende Direktorin der Klinik für Anästhesie, Intensiv- medizin und Schmerztherapie an der Uniklinik Frankfurt. „Es ist außerdem so, dass wir häufiger Personen behan- deln, für die sich das Finden eines adäquaten Blutpro- dukts wegen einer besonderen Antikörperkonstellation schwierig gestaltet.“ Um das Problem der fehlenden Blut- produkte in den Griff zu bekommen, beteiligt sich Stein- bicker in Zusammenarbeit mit der Pharmazeutin und For- scherin Prof. Katja Ferenz seit mehr als zehn Jahren daran, synthetische Blutprodukte herzustellen und in präklini- schen Studien zu erproben. PERFLUORCARBONE ALS HÄMOGLOBINERSATZ Erythrozyten sind individuell mit verschiedenen Ober- flächenantigenen ausgestattet. Diese gilt es vor Trans- fusionen diagnostisch präzise zu ermitteln, um lebens- bedrohliche Immunreaktionen beim Empfangenden auszuschließen. Wenn es gelingt, rote Blutkörperchen oder alternative Sauerstoffträger synthetisch herzustel- len, ließe sich so eine antigenfreie Alternative erzeu- gen – was klare Vorteile bringt. „Wir nutzen Albumin als Erythrozytenmembran“, erklärt Ferenz, die am Insti- tut für Physiologie an der Uniklinik Essen beschäftigt ist. „Für Albumin als Hüllprotein spricht, dass es ein körpe- reigenes Protein ist und gleichzeitig als Emulgator funk- tioniert, weswegen keine weiteren Emulgatoren ergänzt werden müssen.“ Da Emulgatoren sehr häufig für Neben- wirkungen verantwortlich sind, ist das ein großes Plus. „ Je weniger Zutaten es für Blutalternativen braucht, desto besser“ PROF. KATJA FERENZ Gleichzeitig sind die mit Albumin ummantelten, künstli- chen Sauerstoffträger sehr klein, komprimierbar und kön- nen daher selbst winzige Gefäße problemlos passieren. Und: „Je weniger Zutaten es für Blutalternativen braucht, desto besser“, fährt die Pharmazeutin fort. „Denn jeder Zusatzstoff birgt seinerseits Risiken, Immunreaktionen zu verursachen.“ Im Gegensatz zum Forschungsansatz, Hämoglo- bine aus Blut zu isolieren oder rekombinant zu erzeugen, arbeiten Steinbicker und Ferenz mit Fluorkohlenstoffver- bindungen (Perfluorcarbonen) als Sauerstoffträger. „Wir ummanteln einen flüssigen Kern aus Perfluordecalin mit einer Albuminhülle. Das ist ein Fluorcarbon, das medizi- nisch schon erprobt ist.“ Ferenz ergänzt, dass es ein gro- ßer Vorteil von Perfluordecalin sei, dass alle Wasserstoffe darin durch Fluor ersetzt sind, weswegen körpereigene Enzyme dieses nicht abbauen können. Stattdessen wird es einfach abgeatmet, wenn es nicht mehr als Sauerstoff- träger gebraucht wird. EIN LANGER WEG BIS ZUR ZULASSUNG Anfang des 19. Jahrhunderts hat es erste Versuche gege- ben, Blutprodukte von Schafen oder Hunden auf Men- schen zu übertragen. „Dabei sind natürlich viele Men- schen verstorben“, berichtet Steinbicker. „Der Wunsch und die Forschung nach alternativen Blutprodukten sind schon über 100 Jahre alt“, fährt sie fort. „Das Problem ist, dass auch viele künstliche Produkte eine Reaktion beim Empfänger auslösen. Also eine massive Entzündungsre- aktion, die tödlich sein kann.“ Hinzu kommt, dass alles, was in den Körper gegeben wird, irgendwo abgebaut und eliminiert werden muss, entweder über die Leber, die Niere oder die Lungen. „Und zuvor finden dann häu- fig Abwehrreaktionen des Immunsystems auf die Abbau- produkte statt, was in präklinischen Studien häufig dazu führt, dass man nicht weiterkommt.“ Eine andere Schwierigkeit ist, dass nur Produkte zuge- lassen werden, die in der klinischen Phase frei von tieri- schen Elementen sind oder die extrem aufwendig aufbe- reitet wurden, um Immunreaktionen zu vermeiden. „Und das bezieht sich auch auf sämtliche Zwischenschritte in der Herstellung“, so Ferenz. „Wir verwenden daher am Besten direkt humanes Albumin.“ Aus Kostengründen nutzen die Wissenschaftlerinnen neben Humanalbumin aus abgelaufenen, aufbereiteten Konserven aktuell auch tierische Albumine sowie Albumin, das rekombinant in Reispflanzen und Hefen hergestellt worden ist. „Das ist aber leider sehr teuer und daher für die breite Forschung XTRA 1/2022 39